Dorfleben

Deutschlands letzte Räterepublik – das Olympiadorf!

55 Jahre nachdem in München zum ersten Mal eine Räterepublik ausgerufen wurde, entstand im Stadtteil Oberwiesenfeld die modernere Version des Sowjetmodells. Im Juli 1974 gründeten die Bewohner des ehemaligen Frauendorfs im olympischen Dorf unseren Verein “Studenten im Olympiazentrum e.V.”. Anerkannt vom Münchner Studentenwerk, verwalten wir, die “Studenten im Olympiadorf”, uns quasi selbst und leben fast autark in unseren kleinen, eigenen Räterepublik “Olydorf”.

Zwölf “Räte” (Ausschüsse) und diverse Betriebe gestalten das Zusammenleben der 2000 Studenten im Dorf. So kümmert sich der Grünanlagenausschuss GRAS um den Biomüll im Studentenviertel und ermöglicht durch die Ausleihe von Malfarben, die Verschönerung der Bungalowaußenwand. Ausschüsse wie Fotoclub, Töpferausschuss und Theaterausschuss, um nur einige zu nennen, bieten Abwechslung durch regelmäßige Angebote wie Fotografie-Kurse, offene Töpferwerkstatt oder Theaterproben. Fast wie die Arbeiterräte Anfang des 20. Jahrhunderts, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: “Unser Verein ist selbsttragend und finanziert sich selbst,” sagt Ilja Herdt, einer der ehemaligen Vorstände der “Studenten im Olympiazentrum”. Der Verein ist vergleichbar mit einem kleinen Betrieb. Unsere Mitglieder können sich beispielsweise in den Betrieben (Bierstube, OlyDisco, OlyLounge) oder als Handwerker direkt vor der Haustür etwas hinzuverdienen und an vielen interessanten Projekten mitarbeiten, z.B. bei der OlyLust, der größten studentischen Faschingsveranstaltung Münchens.

Den Neueinzüglern wird ein fast königlicher Empfang bereitet: “Ich war erst zwei Tage hier, da hatte ich schon Post von der Haussprecherin im Briefkasten,” berichtet Florian. Auf 100 Studenten kommt ein Haussprecher, der gleichzeitig auch im Präsidium des Vereins sitzt. Jeder Haussprecher begrüßt die Neueinzügler und überreicht ihnen die Broschüre “Neu im Dorf”, der Wegweiser durch das “Olydorf”. “Ich wurde sofort zu einem Neueinzüglerrundgang eingeladen”, fährt Florian fort, “Uns wurde das ganze Dorf mit seinen Werkstätten, der Bierstube, der Disco und dem Lesesaal gezeigt und der Verein hat sich vorgestellt.” Florian, der vor seinem Studium eine Schreinerlehre gemacht hat, wurde bei dieser Gelegenheit gleich als Tischler für den WA, den Werkstattausschuss rekrutiert. Neben der Holzwerkstatt, in der man sich maßgeschneiderte Möbel für seinen Bungalow produzieren kann, gibt es die Metall- und Elektrowerkstatt, wo auch Werkzeuge für Reparaturen in den eigenen vier Wänden verliehen werden.

Denn die Bungalows im Schatten des Olympiaturms sind die Datscha in der kleinen Räterepublik – ein Vorgeschmack auf das Eigenheim. 1052 der Mini-Häuschen stehen im Olympiadorf. 1052 mal preisgekrönte, wenn auch spezielle Architektur zum Dumpingpreis dank Studentenwerk. Rund 320 Euro zahlen Studenten für ihr Häuschen mit Dachterrasse. Jeder Bungalow verfügt über einen Kleiderschrank, eine Kochnische und die obligatorische Nasszelle im “Erdgeschoss”, über eine kleine Treppe gelangt man zum Schlafraum – 24 durchdachte Quadratmeter. “Der Vorteil am Bungalow ist, dass man sich abkapseln kann, wenn man es will. Man macht einfach die Tür hinter sich zu. Allerdings ist es sehr schwer sich nicht ins Dorf zu integrieren,” meint Wolfgang. “Durch die kleinen Gassen hat man das Gefühl, in einer Ferienanlage zu leben” – einer bunten Ferienanlage, denn fast jeder Bungalow ist bemalt, von Besitzer zu Besitzer unterschiedlich. So zieren unterschiedlichste Motive und Malereien die Außenfassaden der kleinen Beton-Häuschen und zeigen die Kreativität und Individualität der Studenten.